Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm (7 TaBV 79/20) sorgte im Juli 2021 für Aufsehen: In diesem wird dem Betriebsrat das Recht zugesprochen, von Arbeitgeber :innen zu verlangen, dass ein elektronisches Zeiterfassungssystem für sämtliche Mitarbeiter :innen einführt wird. Doch was ist an diesem Urteil so bahnbrechend neu?
Ein Blick in das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zeigt, dass der Betriebsrat in Unternehmen nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass die zugunsten der Arbeitnehmer :innen geltenden Gesetze und Verordnungen durchgeführt werden. Hierzu zählen unter anderem auch Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG). In diesem Zusammenhang haben Arbeitgeber :innen gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG die hierfür erforderlichen Unterlagen, also im konkreten Fall die Arbeitszeitaufzeichnungen, dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellen. Hier geht es beispielsweise um die Frage, ob die gesetzlichen Vorgaben des ArbZG in Deutschland eingehalten werden, welches beispielsweise vorschreibt, wie viele Stunden maximal pro Woche gearbeitet werden dürfen und welche Pausenzeiten und Ruhezeiten eingehalten werden müssen.
Gleichzeitig verfügt der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG über ein Mitbestimmungsrecht, bezogen auf die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer :innen zu überwachen – also unter anderem auch für eine elektronische Arbeitszeiterfassung.
Strittig war unter Experten jedoch bislang, ob sich hieraus ein sogenanntes direktes Initiativrecht des Betriebsrats ergibt. Dieses hat zumindest das LAG Hamm in seinem neuerlichen Urteil nun bejaht und führt aus, dass „die Grundsätze zur Annahme eines Initiativrechtes […] auch auf die Mitbestimmung bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG übertragbar“ sind.
Im nächsten Schritt wurde die Entscheidung vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verhandelt. Dieses stellte nun in seinem Urteil (1 ABR 22/21) am 13.09.2022 fest, dass Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von Arbeitnehmer :innen geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Hierbei beruft sich das BAG auf die europarechtskonforme Auslegung des des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) und somit auf das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung aus Mai 2019, bei dem der deutsche Gesetzgeber bislang noch nicht tätig wurde.
Aus dieser gesetzlichen Pflicht folgt, dass der Betriebsrat die Einführung eines Systems der Digitalen Zeiterfassung im Unternehmen nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen kann. Denn ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG bestünde nur, wenn nicht bereits eine gesetzliche Regelung vorhanden ist.
Hinweis: Dieser Blog-Artikel stellt keine Rechtsberatung dar und kann insbesondere keine individuelle rechtliche Beratung ersetzen.